
Christian Manser, CIO der Stadt Winterthur, ist unser Lunchgast im August 2025. Wir haben ihm fünf Fragen zu seinem digitalen Verhalten und den Digitalisierungsprojekten in seinem Bereich gestellt.
Starten wir mit einer Selbsteinschätzung zu deinem eigenen digitalen Verhalten. Wo bist du im Alltag digitaler unterwegs als die meisten?
Ich würde mich selbst nicht als klassischen „Geek“ bezeichnen, aber vieles in meinem Alltag läuft selbstverständlich digital. Im Privaten ist das Smartphone mein ständiger Begleiter, beruflich arbeite ich hauptsächlich mit dem Laptop. Das dürfte für viele ähnlich sein. Was mich jedoch von anderen unterscheidet, ist mein Anspruch, neue Technologien frühzeitig kennenzulernen und aktiv auszuprobieren. So habe ich bereits vor rund zehn Jahren erste Erfahrungen mit Bitcoin gesammelt und mich intensiv mit der Blockchain-Technologie auseinandergesetzt. Heute liegt mein Fokus stark auf dem Thema Künstliche Intelligenz und ich nutze KI-Anwendungen im Alltag, wo immer es sinnvoll und praktikabel ist. Erste Erfahrungen mit ChatGPT habe ich bereits im Dezember 2022, kurz nach dem Launch, gemacht. Die Möglichkeiten haben mich damals regelrecht überwältigt. Ob wir von „Digitalisierung“ oder „Neuen Technologien“ sprechen, ist meines Erachtens nicht relevant. Am Ende geht es immer darum, den Alltag effizienter, einfacher und auch angenehmer zu gestalten, sowohl individuell als auch im grösseren gesellschaftlichen Kontext.
Was sind deines Erachtens die grössten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und was benötigt es, dass wir diese meistern können?
Die grösste Herausforderung ist selten die Technologie selbst. Vielmehr sind es die kulturellen, organisatorischen und strukturellen Voraussetzungen, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Es braucht die Fähigkeit einer Organisation, sich auf Neues einzulassen, Veränderungen aktiv zu gestalten und sich dabei kontinuierlich weiterzuentwickeln. Digitalisierungsvorhaben können technisch „mechanisch“ umgesetzt werden – doch ohne begleitendes Change Management bleibt das Potenzial oft ungenutzt. Erfolg entsteht dort, wo auch die Menschen in der Organisation mitgenommen und befähigt werden. Change Management und Organisationsentwicklung sind deshalb entscheidende Erfolgsfaktoren. Digitalisierung bringt mehr Dynamik, höhere Erwartungen und je nach Branche zusätzlichen Wettbewerbsdruck mit sich. Eine zukunftsfähige Organisation muss diesen Anforderungen offen, agil und lernbereit begegnen.
Welche Digitalisierungsprojekte setzt du in deinem Bereich bei der Stadt Winterthur zurzeit um? Was sind die Herausforderungen dabei?
Die Stadtverwaltung Winterthur ist mit ihren rund 40 Ämtern strukturell einem Mischkonzern ähnlich. Die Aufgabenbereiche sind sehr unterschiedlich, entsprechend werden viele Digitalisierungsvorhaben dezentral und ämterspezifisch umgesetzt. Die grosse Herausforderung liegt darin, gemeinsame Bedürfnisse zu erkennen, Synergien zu nutzen und Digitalisierung als querschnittliches, stadtweites Thema zu etablieren. Genau hierfür wurde vor zwei Jahren das Strategische Digitalisierungsboard ins Leben gerufen. Dieses Gremium ermöglicht eine koordinierte Steuerung und schafft Transparenz über laufende Initiativen und deren Abhängigkeiten. Aktuell erneuern wir zudem zentrale Kernsysteme, unter anderem das ERP-, HR- und ECM-System. Diese Systeme bilden das Fundament für weiterführende Digitalisierungsvorhaben wie Prozessoptimierungen oder Automatisierungen. Erst wenn die Basis stabil steht, kann das volle Potenzial der Digitalisierung ausgeschöpft werden.
Welches Thema ist dein “digitales Steckenpferd” (ein Bereich, in welchem du dich besonders gut auskennst)?
Ich würde mich nicht als Spezialist in einem einzelnen Thema bezeichnen. Vielmehr sehe ich mich als Generalist mit langjähriger Erfahrung im IT- und Government-Umfeld. Ich kenne die Strukturen, Prozesse und Rahmenbedingungen der öffentlichen Hand sehr gut und kann realistisch einschätzen, was machbar, sinnvoll und nachhaltig umsetzbar ist. Dieses breite Verständnis hilft mir, digitale Strategien praxisnah und wirkungsorientiert zu entwickeln.
In welchen Bereichen siehst du grosse digitale Chancen für die Region / Stadt Winterthur?
Winterthur ist eine junge und dynamische Stadt mit hoher Lebensqualität und ist teil des stärksten Wirtschaftsraums der Schweiz. Wir verfügen über eine ausgezeichnete Anbindung an Hochschulen und Universitäten. Der Zugang zu Wissen, Forschung und Innovation ist hervorragend. Unsere Wirtschaft ist leistungsfähig, innovationsstark und bereit, neue Wege zu gehen. Alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung sind vorhanden. Jetzt gilt es, diese aktiv zu nutzen. Wichtig ist, dass wir offen mit neuen Technologien umgehen, Chancen erkennen und unsere Energie auf Lösungen und Entwicklung richten. Leider haben in den letzten Jahren Aspekte in den Bereichen Technophobie oder Innovation Resistance an Bedeutung gewonnen. Nicht selten blockieren übersteigerte Sicherheitsbedenken den Fortschritt. Natürlich müssen Risiken ernst genommen und verantwortungsvoll adressiert werden, aber wir sollten nicht zulassen, dass sie unseren digitalen Wandel lähmen. Winterthur hat das Potenzial, die Digitalisierung aktiv zum Nutzen der Verwaltung, der Wirtschaft und der Bevölkerung zu gestalten.